Ein neuer Tag erwacht im Haus 11. Tali sitzt, wie jeden Morgen, auf ihrem blauen Plastikstuhl im Eingang und strahlt mir mit ihren großen blauen Augen ein herzliches Willkommen entgegen.
Tali kann nicht reden, beherrscht aber umso mehr eine beeindruckende Gestik und Mimik, mit denen sie ihre Wünsche, bzw. Abneigungen sehr gut kommunizieren kann. Tali braucht Gleichförmigkeit, schon kleine Veränderungen machen sie stutzig, bringen Unsicherheit und Angst in ihr Leben. Kaum zu glauben, doch Tali kann auch anders. Sie hat nämlich ein ganz besonderes „Hobby“: Haargummi ihrer Mitbewohnerinnen zu „ klauen“. Erspäht sie irgendwo einen zur Seite gelegten Haargummi, greift sie sich diesen blitzschnell und streift ihn sofort um ihr Handgelenk. In solchen Momenten habe ich manchmal an mir selbst gezweifelt, war ich mir doch ganz sicher, den Haargummi beim Föhnen der Haare an eine bestimmte Stelle gelegt zu haben. Es hat etwas gedauert bis ich begriff, dass der entführte Haargummi, in Gesellschaft mit weiteren, an Tali’s Handgelenk wieder zu finden war.
Doch zurück zum neu erwachten Tag in Haus 11.
Boker tov Tali! Ma nischma? Schnell tastet sie sich an der Wand entlang und hastet zur Dusche. Sie zieht sich aus und ich gebe ihr den Duschkopf in die Hand. Das allmorgendliche Ritual der Körperpflege mit Zähneputzen und Haare waschen kann beginnen. Rituale sind enorm wichtig, sie geben ihr Orientierung. Nach der Grundpflege noch ein wenig Spray unter die Arme und etwas Creme für die Haut. Dann eilt sie im Galopp an ihren Kleiderschrank, wo sie sich aus dem farblichen Kunterbunt, ihre Kleidung selbstständig aussucht und ankleidet, um anschließend schnell wieder zurück auf ihren blauen Plastikstuhl zu eilen, von wo aus sie die morgendliche Umtriebigkeit um sie herum beobachtet.
Und schon tönt es aus dem nächsten Bett: „Ola, Ola“ und eine Hand winkt mir entgegen! Na klar, auch Sarita möchte unter die Dusche.
Fünf Wochen Volontariat waren für mich tief beeindruckend und bewegend zugleich .
Toda le Tali und Sarita, die stellvertretend für die vielen anderen Bewohnerinnen stehen und die ich kennenlernen durfte. Sie haben mich in ihre ureigene Welt schauen lassen und Teilhabe gewährt. Toda dem super engagierten, temperamentvollen sowie herzlichen Pflegeteam. Auch Miriam und ihrem Mann, die uns in der Cafeteria mit feinen Speisen verwöhnten, sei Lob und Dank ausgesprochen. Toda raba dem einzigartigen Mikrokosmos ADI NEGEV/NAHALAT ERAN.
Orah Mendelberg

Orah und Team