Wir erwischen Leo am Morgen nach seiner Abreise aus Israel, deswegen muss er die Rückkehr nach Deutschland noch etwas sacken lassen. Natürlich sei „alles anders, aber auch gut“.
Schon in 2017 hatte er sich dazu entschlossen, ein freiwilliges soziales Jahr in Israel zu machen. Damals war er mit der Jugendgruppe von seiner Kirche (TOS) nach Israel gekommen, und TOS-Gründer Jobst Bittner war es schulssendlich auch, der via seinen Verein „Marsch des Lebens“ Leo an ADI vermittelt hatte.
Aber 2-3 Wochen oder 9 Monate, das macht schon einen Unterschied! Der größte „Kulturschock“ für Leo, als er im Herbst 2020 nach ADI Negev-Nahalat Eran kam, war der Umgangston auf der Arbeit. „Es ist halt etwas lauter, aber das bedeutet nicht, dass sich Leute gleich an den Hals gehen.“ Das israelische Temperament halt.
Auf die Frage, was ihm am besten gefallen hat, antwortete Leo „die Bewohner“. Er hatte mit einer Gruppe von 30-50-jährigen gearbeitet, die kognitiv und körperlich sehr eingeschränkt sind. „Ich habe sie im Alltag unterstützt, Schuhe angezogen, beim Essen geholfen, sie zur Werkstatt gebracht und dort bei den Aufgaben zu unterstützt.“ Das Wichtigste für ihn war es jedoch persönliche Zeit mit ihnen verbringen – „man lernte sie so besser kennen, was sie mögen, was sie glücklich macht, ihnen Freude zu bereiten; je mehr Zeit man mit ihnen verbrachte, desto mehr Spaß machte es“.
Viele witzige Momente sind ihm Kopf geblieben, wie als er mit den Bewohnern gebacken hatte und einer von ihnen mit voller Wucht in eine Mehlschüssel geschlagen hatte. Überall Mehl, überall staubiges Weiß, und der Bewohner hat nach dem ersten Schock von Herzen lachen müssen – wie auch alle anderen.
Es gab auch schwierigere Zeiten: Ob nun die Corona-Lockdowns oder die Raketenangriffe aus Gaza im Mai 2021, einfach wars nicht, alles kam mit eigenen Herausforderungen. Große Angst hatte er jedoch nicht. Klar, „bist aus dem Schlaf gerissen, Adrenalinkick, musst in den Schutzraum mitten in der Nacht“; das Bewusstsein, dass es den „Iron Dome“ gäbe und dieser funktionierte, war aber ein großer Beruhigungsfaktor.
Seine Eltern machten sich da schon mehr Sorgen. Natürlich waren sie stolz auf ihren Sohn, dass er trotz Corona nach Israel ging um Gutes zu tun. Raketen – das ist dann aber doch ein anderes Kaliber. Viele Telefonate halfen da über die Angst hinweg, und für Leo fühlte es sich ohnehin so an, als wäre das alles weit weg, weil sie ja „nicht das Hauptziel des Angriffs waren“.
Eine enorme Bedeutung hatte für ihn die Veranstaltung zum Yom Hashoa, dem israelischen Pendant zum „Internationalen Holocaust-Gedenktag“. Als Teil vom „Marsch des Lebens“ war Leo sich der Nazi-Vergangenheit seiner Familie sehr wohl bewusst, aber er hätte nie gedacht, dass er zusammen mit den anderen MdL-Freiwilligen die Gelegenheit bekommen würde, darüber öffentlich zu sprechen und es in etwas Bedeutungsvolles wandeln zu können. Während den vielen Interviews, die nach der Veranstaltung folgten, wurde viel von „Sühne“ gesprochen; da wollte er klarstellen: „Wir können keine Sühne leisten; wir haben nur die Verantwortung, dass so etwas nicht mehr passiert. Wir müssen mit Israel und gegen Anti-Semitismus stehen.“ Wenn er zur Arbeit ging, dachte er an die Bewohner und nicht an seine Familiengeschichte – er machte seine Arbeit, weil er dienen wollte und nicht aus schlechtem Gewissen.
Was war denn im Endeffekt das Schönste an seinem Freiwilligendienst war, antwortete Leo zögerlich: „Alles irgendwie. Die Arbeit mit den Bewohnern und die neuen Freundschaften, die man knüpfen kann.“ Er hatte sich anfänglich etwas Sorgen gemacht, ob alle mit einander klarkommen würden. Und dann war es eine „so coole Gemeinschaft“. Zusammen hatte es unglaublich viel Spaß gemacht, sowohl zu arbeiten als auch rumzureisen: Jerusalem, Tel Aviv, Eilat, Tiberias, Matsada, Ein Gedi – natürlich hätte er gern mehr gesehen, „aber es ist ja nicht das letzte Mal das ich hier bin“.
Ab Herbst 2021 wird Leo in Tübingen Lehramt auf Politik und Physik studieren. Wir danken Leo von Herzen, wünschen ihm alles Gute und freuen uns auf baldige Besuche!