„Ich habe nicht die Möglichkeit, die Vergangenheit zu ändern, aber ich bin hier, und setze mich mit ganzem Herzen für eine bessere Zukunft ein.“
Am vergangenen Sonntag, dem 14. Februar 2021, fand im Seniorenzentrum des süd-israelischen Ofakim eine bewegende Zeremonie statt, in Gedenken an die 6 Millionen jüdischen Opfer, die im Zweiten Weltkrieg ermordet wurden.
Die Veranstaltung sollte ursprünglich am Internationalen Holocaust-Gedenktag (27.1.) stattfinden, musste aber aufgrund des landesweiten Lockdowns in Israel beinahe komplett abgesagt werden. Das konnten aber die deutschen Freiwilligen Lea, Shauna, Leo und Setti nicht zulassen, und auf ihre Initiative hin fand die Zeremonie dann doch noch statt. Die Abiturienten kommen aus dem Raum Tübingen (Dußlingen, Bodelshausen) und aus Plauen in Sachsen, und entschlossen sich nach ihrem Schulabschluss als Freiwillige im Behinderten- und Rehabilitationsdorf „ADI Negev – Nahalat Eran” zu arbeiten. Ihre Entsendeorganisation „Marsch des Lebens” wurde von den Nachfahren von Nazis gegründet, um Rückforschung über die eigenen Vorfahren anzustellen und gleichzeitig, nach vorne blickend, gegen Antisemitismus und an der Seite von Juden und dem Staat Israel zu stehen – ganz ähnlich dem Motto „Tikkun Olam“ von ADI, das zur gesellschaftlichen Verantwortung „Reparatur der Welt“ aufruft.
Die engagierten jungen Leute stellten im „Saal der Überlebenden“ eine spannende Präsentation vor über ihren Alltag als Freiwillige im Rehabilitationsdorf und zeigten einen Kurzfilm über die Kernaufgaben ihrer Entsendeorganisation. Danach teilten die Freiwilligen mit den Anwesenden ihre persönlichen Geschichten und die familiären Verbindungen zum Holocaust – da blieb kein Auge trocken im Raum.
Aryeh Nussbacher, 93, einer der Holocaustüberlebenden, zündete gemeinsam mit den Freiwilligen Kerzen an, um sich an diejenigen zu erinnern, die getötet wurden. Mit zitternder Stimme erzählte er seine persönliche Geschichte und wie er fast seine gesamte Familie im Holocaust verlor. Die Freiwilligen umarmten ihn unter Tränen und entschuldigten sich für die Gräueltaten, die seine Familie und er erdulden mussten.
Setti, 18, eine der Freiwilligen, erzählte, wie ihr Urgroßvater, der Ingenieur war, beim Bau der Gaskammern und elektrifizierten Zäune in Auschwitz mitgearbeitet hatte. Als der Krieg vorbei war, erklärte er seiner Familie, was er getan hatte, ganz ohne Scham und Reue. Jedoch bestand er darauf, dass darüber nie gesprochen werden sollte, sonst würde womöglich die ganze Familie zusammen mit ihm untergehen. Und so schwiegen sie alle bis zu seinem Ableben.
Nach seinem Tod entschlossen sie sich dann doch, ihre Geschichte zu erzählten und sich dem „Marsch des Lebens” anzuschließen. „Ich möchte mich von ganzem Herzen für das entschuldigen, was mit deiner Familie passiert ist”, sagte Setti zu Aryeh, während ihr Tränen über die Wangen liefen. „Ich habe nicht die Möglichkeit, die Vergangenheit zu ändern, aber ich bin hier, und setze mich mit ganzem Herzen für eine bessere Zukunft ein.“
Zum Ende überreichten die Freiwilligen den Senioren Blumentöpfe, die sie im ADI-Rehabilitationsdorf vorbereitet hatten. Die Töpfe hatten eine Inschrift, die die emotionale Veranstaltung perfekt zusammenfassten: „Wir stehen an Ihrer Seite“.
Vielen Dank an diese unglaublichen jungen Leute für die wundervolle Initiative, die sie im Namen von „Tikkun Olam“ ins Leben gerufen haben. Ob nun als eine Geste der Wiedergutmachung oder zum Wohle der Bewohner im ADI-Rehabilitationsdorf: Sie machen kleine, aber bedeutende Schritte in Richtung „Reparatur der Welt“.