Eine Reise in ‎die Wüste und in die ‎Vergangenheit

Geimpft und im warmen Urlaubsland: Da könnte mancher neidisch werden. Doch für zwei Freiwillige aus dem Steinlach gebiet war ihr FSJ in Israel viel mehr.

Von Damaris Riesner

In einem Seniorenzentrum im Süden Israels hören Anna-Suzette Pfeiffer und Leo Ebe zu, wie der 93-jährige Holocaustüberlebende Aryeh Nussbacher erzählt. Er berichtet davon, wie er fast seine gesamte Familie im Holocaust verlor. Die Dußlingerin und der Bodelshausener hatten zusammen mit anderen Jugendlichen aus Deutschland erreicht, dass diese Holocaust-Gedenkfeier trotz Corona stattfinden konnte.

Die beiden sind zurzeit im Rahmen ihres Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) in Israel, im Behinderten- und Rehabilitationsdorf „ADI Negev – Nahalat Eran“. Auch sie erzählten aus ihrer Familiengeschichte – und baten um Vergebung. Die Haltung der Überlebenden gegenüber ihnen als Deutschen hat Pfeiffer beeindruckt: „Wäre ich überhaupt in der Lage, so eine Herzlichkeit auszustrahlen, wenn ich das gleiche erlebt hätte?“

Pfeiffer und Ebe sind Teil der Freikirche TOS aus Tübingen und der daraus entstandenen Organisation „Marsch des Lebens“. Die setzt sich für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ein, für Israel und gegen Antisemitismus. Pfeiffer hat sich schon als Kind mit dem Nationalsozialismus beschäftigt: Ihre Mutter gab ihr das Buch „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“.

Einstieg in die Familiengeschichte

Für sie war das ein guter Einstieg in diese schwierige Thematik. Die persönliche, kindliche Perspektive des Buches sei für sie hilfreich gewesen. Die 18-Jährige ist sich bewusst, dass eine Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte nicht einfach ist. Ihr Urgroßvater war am Bau von Auschwitz beteiligt. Sich mit der Nazi- Vergangenheit in der eigenen Familie zu beschäftigen, sei ein Prozess der Mut und Geduld erfordere, erklärt sie. „Ich würde raten, langsam anzufangen“, so Pfeiffer.

Ihr Kollege Ebe ist wie sie überzeugt, dass die NS-Vergangenheit der Familie mit einem persönlich zu tun hat. Dabei sei es egal, ob die Vorfahren bei der Wehrmacht waren oder im Büro gearbeitet haben, denkt Ebe. Der ebenfalls 18-Jährige, der selbst Lehramt studieren möchte, findet, dass solch eine persönliche Perspektive in der Schule zu kurz kommt.

Für Pfeiffer ist es allerdings nicht nur die Vergangenheit, die sie zu ihrem FSJ in Israel bewegt hat, sondern auch die Gegenwart mit der Coronakrise. „Während der ganzen Zeit hat sich nicht nur ein Virus verbreitet, sondern auch Antisemitismus“, so Pfeiffer. „Ich empfand, dass so ein Dienst auch ein starkes Zeichen von der deutschen Seite aus sein könnte.“ Bei diesem freiwilligen Dienst in „ADI Negev“ haben die beiden verschiedenste Aufgaben: Sie helfen den Bewohnern beim Anziehen und Essen, sie gehen mit ihnen spazieren oder wechseln ihre Windeln.

Die Eindrücke, die sie noch bis in den Sommer sammeln, reichen vom Schönen bis zum Traurigen. Während ihrer Zeit sind Bewohner an Corona gestorben. Das Schöne: „Israel ist auch ein tolles Land zum Entdecken.“ Pfeiffer will ihr FSJ auch nicht komplett als Sühne der Familiengeschichte verstehen. „Ich finde es sehr wichtig, in die Zukunft zu schauen“, meint Pfeiffer, aber man solle den Blick in die Vergangenheit auch nicht „schleifen lassen“.

Quelle: Schwäbisches Tagblatt – Freitag, 19.März 2021

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